Wie Sanktionen Armut verschärfen und Löhne drücken

Die am 9. Oktober 2025 beschlossenen Verschärfungen von Sanktionen und Mitwirkungspflichten in der Grundsicherung erhöhen den existenzbedrohenden Druck auf Menschen im Leistungsbezug und wirken zugleich als Disziplinierungsinstrument für den gesamten Niedriglohnarbeitsmarkt. Viele Menschen kommen schon heute mit dem Regelsatz nicht über die Runden. Wenn nun Leistungen gekürzt werden, treffen die Maßnahmen direkt unter das faktische Existenzminimum – mit schwerwiegenden Folgen wie Schulden, Schufa-Einträgen und Wohnungsverlusten.

Laut der Sanktionsfrei-Studie 2025 müssen 41 % der Befragten einen Teil ihrer Miete oder Nebenkosten aus dem ohnehin zu niedrigen Regelsatz bezahlen. Die Studie zeigt außerdem, dass es keine empirischen Belege gibt, dass härtere Sanktionen dauerhaft zu stabiler Beschäftigung führen. Stattdessen verursachen sie Verschuldung, Rückzug und gesundheitliche Belastungen. Schon ein verpasster Termin beim Jobcenter kann künftig zu einer Kürzung um 30 % führen, bei wiederholten Pflichtverletzungen droht der vollständige Leistungsstopp. Diese Sanktionslogik verschärft die finanzielle Notlage, erhöht das Risiko von Mietrückständen, Mahnbescheiden und Schufa-Einträgen und führt nicht selten direkt in Wohnungsverlust oder Obdachlosigkeit.

Die Lebensrealität vieler Betroffener verdeutlicht die soziale Schieflage: 72 % der Befragten sagen, dass der aktuelle Regelsatz von 563 € (zuzüglich Unterkunft) nicht für ein würdevolles Leben reicht. Nur 9 % halten damit eine gesunde Ernährung für möglich. Jede zweite Person berichtet, dass im Haushalt nicht alle satt werden, und 54 % der Eltern verzichten regelmäßig auf Essen, um ihre Kinder zu versorgen. Sozialverbände weisen seit Langem darauf hin, dass das Bürgergeld deutlich unterhalb der Armutsgrenze liegt. Realistisch wäre ein Mindestbetrag von etwa 813 € (Referenzwert 2024, zzgl. Strom und Unterkunft).

Hinzu kommt: 28 % der Leistungsbeziehenden müssen sich verschulden, um den Alltag zu bewältigen, während 41 % kein soziales Netz haben, das in Notlagen auffangen könnte. Unvorhergesehene Ausgaben – etwa für Stromnachzahlungen, Brillen oder defekte Haushaltsgeräte – führen sofort zu Krisen. Dabei halten sich 87 % der Befragten laut Studie an alle Mitwirkungspflichten. Trotzdem lehnen 82 % die Kürzung des Existenzminimums als unrecht und entwürdigend ab. Sanktionen werden als belastend, demütigend und angstfördernd erlebt. Nur 16 % berichten von individueller Förderung, und fast ein Drittel findet Jobcenter-Bescheide schwer verständlich – die Fehlerquote bleibt hoch.

Die Arbeitsmarktrealität zeigt ein ähnliches Bild: Von 3,9 Millionen theoretisch erwerbsfähigen Menschen stehen real nur etwa 1,9 Millionen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. 88 % von ihnen haben Vermittlungshemmnisse wie fehlende Ausbildung, Kinderbetreuung, Pflegepflichten, gesundheitliche Einschränkungen oder ein höheres Alter. Nur rund 230.000 gelten als ohne Hindernisse vermittelbar. Zwar wollen 74 % aus dem Leistungsbezug heraus, doch lediglich 26 % glauben, realistische Chancen auf eine existenzsichernde Arbeit zu haben.

Die Berichte von Vollsanktionierten sind alarmierend: Aussagen wie „Existenz gefährdet“, „Wohnungsverlust, Obdachlosigkeit“ oder „Kein Lebenswille mehr“ verdeutlichen, dass Sanktionen keine Motivation, sondern Verzweiflung erzeugen. Kürzungen sollen angeblich aktivieren – in Wahrheit führen sie in Akutkrisen, zerstören Lebensgrundlagen und vertiefen Armut.

Für Leistungsbeziehende bedeutet das: Hunger, Verschuldung, psychische Belastungen und der Verlust von Wohnung und Stabilität. Viele ziehen sich zurück oder meiden den Kontakt zu Behörden, was wiederum Folgekosten in der Schuldner- und Wohnungslosenhilfe verursacht. Für Beschäftigte entsteht ein anderer, aber ebenso gefährlicher Effekt: Das Sanktionssystem sendet das Signal, „jede Arbeit sei besser als keine“. Damit wird die Lohnverhandlungsmacht geschwächt, Arbeitsbedingungen verschlechtern sich und die Niedriglohnschiene wird weiter ausgebaut. Wer Angst vor Sanktionen hat, akzeptiert schlechtere Löhne – und senkt damit das allgemeine Lohnniveau.

Härtere Sanktionen erhöhen kurzfristig den Druck, aber sie schaffen keine stabilen Arbeitsverhältnisse. Statt Integration fördern sie soziale und finanzielle Kettenreaktionen: Kürzungen führen zu Schulden, Schufa-Einträgen, Mietrückständen, Wohnungsverlust und damit zu noch geringeren Jobchancen. Das politische Versprechen, „Fördern und Fordern“ neu zu justieren, verkehrt sich in sein Gegenteil: Menschen mit realen Barrieren – Krankheit, Pflege, Qualifikationsmangel – werden bestraft, während strukturelle Probleme ungelöst bleiben.

Finanziell betrachtet sind die Einsparungen durch die Reform minimal: Rund 1,2 Milliarden € sollen im Sozialetat „gespart“ werden. Gleichzeitig bleiben oben Milliarden unangetastet. Eine moderate Vermögenssteuer ab 2 Millionen € würde jährlich 25–30 Milliarden € bringen, eine gerechte Reform der Erbschaftsteuer weitere 30–40 Milliarden €, und eine Finanztransaktionssteuer zusätzliche 5–8 Milliarden €. Zusammen ergäbe das über 60 Milliarden € jährlich – das 50-Fache der Kürzungen unten.

Gerade die Erbschaftsteuer zeigt das Missverhältnis: In Deutschland werden jährlich mehr als 400 Milliarden € vererbt, doch das Steueraufkommen beträgt nur etwa 10 Milliarden €. 97 % aller Erbschaften bleiben steuerfrei, vor allem dank Sonderregeln für Unternehmens- und Großvermögen. Große Erben zahlen im Schnitt 2,9 %, kleine bis zu 10 %. Eine gerechte Reform, die Schlupflöcher schließt und Werte realistisch bewertet, könnte 25–40 Milliarden € zusätzliche Einnahmen bringen – genug, um die Grundsicherung vollständig zu finanzieren, ohne einen einzigen Euro unten zu kürzen.

Fazit:
Die neue Grundsicherung 2025 steht für ein falsches Verständnis von Haushaltsdisziplin. Armut bekämpft man nicht mit Strafen, sondern mit Sicherheit, Respekt und sozialer Gerechtigkeit. Deutschland hat kein Ausgabenproblem unten, sondern ein Steuergerechtigkeitsproblem oben. Wer Gerechtigkeit will, muss die Starken beteiligen – und darf die Schwachen nicht bestrafen.

„Sparen bei Armut ist keine Politik – Gerechtigkeit heißt, die Starken beteiligen, nicht die Schwachen bestrafen.“

 

Quellen:
Friedrich Ebert Stiftung
https://www.fes.de/publikationen/?db=digbib&pull_1=CRO&sortierung=jab&t_allegro=x&text_1=Erben&t_allegro=Suchen

Studie Saktionsfrei
https://sanktionsfrei.de/studie25

Pressekonferenz nach dem Koalitionsausschuss
https://www.youtube.com/watch?v=SXzQNJUBXg4

 

 

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