Milliardenvermögen steuerfrei erben – die Verschonungsregel macht’s möglich
Die deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuer ist faktisch nicht progressiv, sondern regressiv: Je größer das Vermögen, desto niedriger der Steuersatz. Durch Steuerschlupflöcher, Stiftungen und die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung können Multimillionen- und Milliardenvermögen nahezu steuerfrei weitergegeben werden.
Zwischen 2021 und 2023 wurden bei Übertragungen von insgesamt 12,7 Milliarden Euro Vermögen rund 4 Milliarden Euro an Steuern erlassen – der effektive Steuersatz lag damit bei nur 2,9 %, im Jahr 2023 sogar bei 0,1 %. Zum Vergleich: Kleine Erbschaften werden im Schnitt mit rund 9 % besteuert. Diese Privilegien betreffen fast ausschließlich Westdeutschland, während in Ostdeutschland kein einziger entsprechender Fall bekannt ist. Besonders begünstigt sind privatnützige Familienstiftungen, die bis zu 99,9 % steuerfrei erben können – ohne jede Bedürftigkeitsprüfung. Das Ergebnis ist eine immer stärkere Konzentration von Reichtum in den Händen weniger und eine Entwicklung hin zu einer Erbengesellschaft.
Die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung, eingeführt 2016 für Erbschaften über 26 Millionen Euro an Unternehmensvermögen, ermöglicht reichen Erb:innen einen kompletten Steuererlass, wenn sie angeblich „nicht genügend verfügbares Privatvermögen“ besitzen. Dabei wird lediglich die Hälfte des Privatvermögens angerechnet, während Gewinne, Ausschüttungen oder weiteres Betriebsvermögen unberücksichtigt bleiben. Auf diese Weise können sich Großerb:innen formal „arm rechnen“ und ihre Steuerlast praktisch auf null senken.
Diese Praxis kostet den Staat jedes Jahr bis zu acht Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Sie sorgt dafür, dass die Reichsten effektiv weniger zahlen als die Mittelschicht – obwohl Erbschaften längst die Hauptquelle von Reichtum geworden sind. Inzwischen stammt mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens in Deutschland aus Erbschaften und Schenkungen, nicht aus eigener Leistung. Damit weist Deutschland heute die höchste Vermögensungleichheit in der Europäischen Union auf.
Das Bundesverfassungsgericht hat die bestehenden Regelungen bereits mehrfach als verfassungswidrig kritisiert (zuletzt 2014; das Verfahren 1 BvR 804/22 ist anhängig). Die Friedrich-Ebert-Stiftung fordert in ihrer aktuellen Studie, die Verschonungsregel vollständig abzuschaffen und stattdessen gezielte Finanzierungshilfen einzuführen – etwa durch gestreckte Steuerzahlungen, Verrentungen oder staatliche Beteiligungen bei echten Liquiditätsproblemen. Pauschale Steuerbefreiungen für Großvermögen sollen hingegen entfallen.
Eine gerechte Reform würde die Erbschaftsteuer wieder wirklich progressiv machen, Vermögenskonzentration abbauen, Chancengleichheit stärken und die Staatseinnahmen deutlich erhöhen. Studien zufolge könnten sich die Einnahmen verdoppeln, wenn Unternehmensvermögen künftig nicht länger pauschal verschont würde.
Fazit:
Die derzeitige Erbschaftsteuer fördert keine Leistung, sondern vererbt Privilegien. Großvermögen werden in Deutschland nahezu steuerfrei weitergegeben, während kleine Erben regulär zahlen müssen. Das untergräbt nicht nur soziale Gerechtigkeit, sondern auch die demokratische Legitimation unseres Steuersystems.
Wer Reichtum erbt, zahlt kaum – wer ihn erarbeitet, trägt die Last.
Quelle: Friedrich Ebert Stiftung
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