Wenn der Netzausbau zur Umverteilungsmaschine wird – Wie Verbraucher und Industrie für Renditen zahlen
Der Netzausbau ist notwendiger Bestandteil der Energiewende: Ohne leistungsfähige Übertragungs- und Verteilnetze lassen sich Wind- und Solarenergie nicht dorthin transportieren, wo sie gebraucht werden. Doch in seiner aktuellen Finanzierungs- und Eigentümerstruktur läuft dieser Ausbau Gefahr, von einer technischen Herausforderung zu einem wirtschaftlichen Gemetzel zu werden – mit Gewinnern auf der einen Seite und Verlierern auf der anderen.
Im Folgenden zeige ich, wie Verbraucher, Produzenten und energieintensive Industrien heute schon doppelt zur Kasse gebeten werden und wie Renditeinteressen über das öffentliche Interesse dominieren.
Eigentümerstruktur & Renditeinteressen – wer treibt hier Profit?
Seit der Liberalisierung wurden deutsche Hoch- und Höchstspannungsnetze vom Bund und von Energiekonzernen entkoppelt, um Wettbewerb in Erzeugung und Verteilung zu ermöglichen. TenneT (bis dahin als Übertragungsnetz von E.ON/Transpower) übernahm wesentliche Netze in Deutschland. Heute ist TenneT Teil eines internationalen Netzbetreiberverbunds, dessen Muttergesellschaft in den Niederlanden residiert.
2025 wurde bekannt, dass der niederländische Staat 46 % der Anteile an Tennet Deutschland (Tochtergesellschaft) an institutionelle Investoren verkauft – konkret an den norwegischen Staatsfonds (Norges Bank Investment Management), den singapurischen Staatsfonds GIC und den niederländischen Pensionsfonds APG. Der niederländische Staat behält 54 % der Anteile.
Damit sind Teile der deutsche Netzinfrastruktur nicht mehr nur technisch, sondern auch finanziell in die Hände ausländischer Kapitalinteressen übergegangen. Die Investoren erwarten stabile, kalkulierbare Renditen – und genau die werden ihnen über regulatorische Konstrukte gewährt.
Garantierte Renditen: Stabilität für Investoren, Kostenfalle für Verbraucher
Im deutschen Stromnetzregime wird Netzbetrieb als natürliches Monopol betrachtet und durch Regulierung kontrolliert. Dabei spielt die Anreizregulierung eine zentrale Rolle: Die Bundesnetzagentur setzt Erlös- oder Entgeltobergrenzen, in denen Netzbetreiber Kosten, Abschreibungen und eine kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung geltend machen können.
Für die vierte Regulierungsperiode (Strom 2024–2028) ist der Eigenkapitalzinssatz für Neuinvestitionen (inklusive Steuern) mit aktuell 5,07 % festgelegt. Für Altanlagen gilt ein niedrigerer Satz (z. B. 3,51 %). Doch die Bundesnetzagentur plant eine Reform der WACC-Methodik, wodurch eine künftige Anhebung der Rendite wahrscheinlich ist – was direkt höhere Netzentgelte bedeuten würde.
Zudem zeigen aktuelle Analysen, dass Verteilnetzbetreiber bereits hohe Eigenkapitalrenditen erwirtschaften – im Jahr 2023 lag der Durchschnitt laut BNE‑Analyse bei über 20 %. Das weist auf große Abweichungen zwischen regulatorischer Obergrenze und tatsächlichem Gewinnpotenzial hin.
Die Logik ist klar: Mehr Rendite, mehr Investorenanreiz – aber auch höhere Kosten im System. Den Unterschied zahlt der Stromkunde.
Die doppelte Belastung des Verbrauchers
Netzentgelte machen heute bereits einen erheblichen Teil des Strompreises aus. Jede Erhöhung – sei es durch höhere Kapitalverzinsung oder steigende Baukosten – fließt direkt in die Stromrechnung ein. Haushaltskunden zahlen so mehr für ihren eigenen Verbrauch – ohne alternative Optionen.
Doch das ist nur die halbe Rechnung. Denn Strom ist Produktionsfaktor Nr. 1. Jeder Handwerksbetrieb, jedes Unternehmen, jeder Laden – alle benötigen Energie. Steigen dort die Kosten, werden sie weitergereicht: in Warenpreisen, Logistik, Dienstleistungsgebühren. So landet die Netzentgelterhöhung zweimal beim Verbraucher: einmal für den eigenen Strom, und nochmal in alltagsüblichen Produkten und Dienstleistungen.
Energieintensive Industrie: Im Würgegriff der Wettbewerbsnachteile
Während Verbraucher wenigstens kleine Spielräume bei Effizienz oder Anbieterwahl haben, können energieintensive Industrien kaum reagieren. Stahl, Chemie, Glas oder Zement benötigen enorme Mengen Energie. Steigende Netzentgelte verschärfen ihre Kostenstruktur massiv. Zwar existieren Entlastungen für Großverbraucher, doch diese greifen nicht überall. Die Folge: Produktionsverlagerung ins Ausland, Investitionsstopp in Deutschland und ein schleichender Verlust industrieller Wertschöpfung.
Makroökonomie & Inflation: Ein heimlicher Preistreiber
Höhere Energiekosten schlagen direkt auf Transport, Logistik und Güterpreise durch. Das treibt die Inflation und erhöht Lohnforderungen. Während Politik und Zentralbank gegen Inflation kämpfen, werden hier strukturell neue Preistreiber geschaffen – dauerhaft und kaum umkehrbar.
Politische und soziale Sprengkraft
Die Umverteilung durch Netzentgelte ist politisch riskant. Wenn Bürger das Gefühl haben, sie tragen die Kosten, während internationale Fonds Gewinne abschöpfen, bröckelt das Vertrauen in Politik, Regulierung und Energiewende. Geringverdiener geben prozentual mehr für Energie aus. Wenn die Belastungen weiter steigen, droht Energiearmut und politische Polarisierung.
Fazit – Ein Appell an politische Vernunft
Der Netzausbau ist unverzichtbar. Aber er darf nicht zum Vehikel einer Umverteilung von unten nach oben werden, bei der Bürger und Industrie die Kosten tragen, während Renditegesellschaften profitieren. Die Politik muss regulatorische Renditegrenzen festigen, übermäßige Gewinne begrenzen und soziale Ausgleichsmechanismen schaffen. Sonst wird die Energiewende zwar technisch gelingen – aber ökonomisch und sozial scheitern.
Quellen
• Bundesnetzagentur – Eigenkapitalverzinsung (2024): https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/20240124_EKZins.html
• Grant Thornton – Neue WACC-Berechnung für Netzbetreiber: https://www.grantthornton.de/themen/2025/aktuelle-entwicklungen-zur-eigenkapitalverzinsung-von-netzbetreibern-neue-wacc-berechnung-im-fokus/
• BNE – Analyse Verteilnetzrenditen 2023: https://www.bne-online.de/analyse-zeigt-verteilnetzbetreiber-erzielen-zweistellige-renditen-auf-kosten-der-stromkunden/
• Wikipedia – TenneT TSO: https://de.wikipedia.org/wiki/Tennet_TSO
• FAZ – Verkauf von TenneT Deutschland: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/verkauf-von-tennet-deutschland-ist-gescheitert-es-ging-um-mehr-als-20-milliarden-euro-19803145.html
• Rödl & Partner – Eckpunktepapier Bundesnetzagentur: https://www.roedl.de/themen/kursbuch-stadtwerke/2024/juni/eckpunktepapier-bundesnetzagentur