In Deutschland wird derzeit wieder über die Erbschaftsteuer diskutiert. Auslöser war ein Vorstoß von Jens Spahn (CDU), der eine Reform ins Gespräch brachte – doch innerhalb der Union gibt es massiven Widerstand. Gleichzeitig zeigen Umfragen: Eine Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich, dass große Vermögen stärker besteuert werden. Auch unter Wähler:innen der Union gibt es Zustimmung. Trotzdem werden in der politischen Debatte häufig Argumente wiederholt, die einer genaueren Prüfung nicht standhalten. Im Folgenden werden einige verbreitete Missverständnisse aufgegriffen und eingeordnet – verbunden mit einem Vorschlag, wie eine sinnvolle Reform aussehen könnte. 1. Ungleichheit wächst – und die Erbschaftsteuer bremst sie kaum Deutschland gehört zu den Ländern mit der größten Vermögensungleichheit unter den westlichen Demokratien. Die reichsten zehn Prozent besitzen mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens – Tendenz steigend. Besonders durch Erbschaften verfestigt sich diese Ungleichheit: Heute stammt bereits rund die Hälfte des gesamten Vermögens aus Erbschaften, vor 50 Jahren war es nur ein Fünftel. Zwar sieht das Gesetz steigende Steuersätze für höhere Erbschaften vor, doch die Realität sieht anders aus. Durch Ausnahmen, insbesondere für Firmenerben, sinkt der tatsächliche Steueranteil mit wachsender Erbsumme. Studien zeigen, dass sehr große Erbschaften effektiv nur mit rund drei Prozent besteuert werden – während kleinere Erben ein Vielfaches zahlen. 2. Steuerprivilegien für Konzernerben – kein Schutz für den Mittelstand Oft wird behauptet, Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer dienten dem Schutz von Familienbetrieben. Tatsächlich profitieren aber vor allem sehr große Unternehmensvermögen. Laut offiziellen Zahlen entgehen dem Staat jährlich rund neun Milliarden Euro durch diese Sonderregelungen – das ist die größte steuerliche Subvention in Deutschland. Kleine und mittlere Betriebe werden dadurch nicht geschützt, sondern große Erbschaften in Konzernstrukturen begünstigt. In den letzten Jahren wurden hunderte Millionen- und Milliardenvermögen steuerfrei vererbt, teils sogar an Kinder im Grundschulalter. Die offizielle Begründung – fehlende Liquidität – ist kaum glaubwürdig. Diese Praxis widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz und fördert die Konzentration von Vermögen in wenigen Händen. 3. Unternehmensnachfolge ist auch ohne Ausnahmen möglich Das Argument, eine höhere Erbschaftsteuer würde Arbeitsplätze oder Unternehmensstrukturen gefährden, lässt sich nicht halten. Die Steuer kann über längere Zeit gestreckt und aus künftigen Gewinnen bezahlt werden. Historische Beispiele zeigen, dass selbst sehr große Unternehmen hohe Steuerforderungen ohne Substanzverlust begleichen konnten. Eine differenzierte, aber konsequentere Erhebung wäre also ohne wirtschaftliche Schäden möglich. 4. Familienbande sind keine Garantie für gute Unternehmensführung Die Vorstellung, Unternehmen müssten unbedingt in Familienhand bleiben, ist emotional verständlich – aber wirtschaftlich nicht belegt. Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen mit externer Leitung im Durchschnitt erfolgreicher sind: sie wachsen schneller, investieren mehr und sichern langfristig eher Arbeitsplätze. Privilegien, die nur auf familiäre Nachfolge zielen, sind daher weder gerechtfertigt noch wirtschaftlich sinnvoll. 5. Keine Doppelbesteuerung – sondern eine faire Beteiligung Oft wird argumentiert, die Erbschaftsteuer sei eine doppelte Belastung. Tatsächlich wird aber nicht das Vermögen der Verstorbenen, sondern der Vermögenszuwachs der Erbenden besteuert – also Einkommen, das sie ohne eigene Leistung erhalten. Wer denselben Betrag erarbeitet hätte, müsste Einkommensteuer zahlen. Insofern sorgt die Erbschaftsteuer für mehr Gleichbehandlung, nicht für Doppelbelastung. 6. Ein fairer Kompromiss ist möglich Eine gerechte Reform kann die Interessen verschiedener Gruppen verbinden. Denkbar wäre: Höhere Freibeträge für Erben normaler Vermögenswerte (z. B. Eigenheime), um Preissteigerungen bei Immobilien auszugleichen. Gleichzeitig die Abschaffung übermäßiger Ausnahmen für sehr große Vermögen, die dem Gemeinwohl nichts nützen. So würden Familien entlastet, die unverschuldet in die Steuerpflicht rutschen, während sehr große Erbschaften endlich einen angemessenen Beitrag leisten. Der Steuerausfall durch höhere Freibeträge wäre gering im Vergleich zu den Milliarden, die durch Schlupflöcher verloren gehen. Fazit: Leistung soll sich lohnen – nicht Erbe Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer Gesellschaft entwickelt, in der Reichtum zunehmend vererbt und nicht mehr erarbeitet wird. Eine gerechtere Erbschaftsregelung würde dazu beitragen, die Kluft zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden zu verringern, fairen Wettbewerb zu sichern und öffentliche Aufgaben solide zu finanzieren – ohne den Mittelstand zu überlasten. Es geht nicht um Strafe für Erfolg, sondern um Verantwortung und Fairness: Wer viel erbt, soll auch einen angemessenen Beitrag zur Gemeinschaft leisten.

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